Kernthese: In der produzierenden Industrie, also da, wo reale Werte erzeugt werden, müssen merkliche Anstrengungen unternommen werden, um
den Herausforderungen der sich immer stärker vernetzenden Welt gewachsen zu sein, allerdings müssen die 'realen' Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette diesem Wandel angepasst werden.
Das Hauptaugenmerk muss dabei auf der Transformation der Geschäftsmodelle liegen. Geschieht das nicht, werden Techniken implementiert, deren Nutzen gegen Null strebt.
Geschieht es jedoch in Abstimmung mit den Möglichkeiten der digitalen Technologie, öffnen sich verlockende Potentiale an Gewinn und Kundenbindung.
Während vor Jahrzehnten 'Guerilla-Marketing' im B2B noch ein außergewöhnliches, nah an der Unseriosität angesiedeltes Instrument war, ist heute das Unterlaufen der 'normalen' Kontaktstruktur vor
dem Hintergrund der, auch professionellen, sozialen Netzwerke schon die Regel. Die Vertriebsperson pflegt ihr Kontaktnetz natürlich nach wie vor vis à vis, aber subkutan ist sie durch soziale
Netzwerke wie Facebook, XING und LinkedIn während des gesamten Arbeitstages im Office ihrer wichtigsten Ansprechpartner präsent. Dies ist 'relationship management' auf dem Monitor des
Produkt-/Projektmanagers vom Feinsten. Eine stetige Professionalisierung dieser Kanäle ist zu beobachten und auch in der Zukunft zu erwarten. Ein Geflecht von Hintergrundinformation, Schulung und
Interaktivität zusammen mit persönlicher Ansprache anzubieten, wird breiten Raum einnehmen. Ist auf diese Weise die 'Immunschranke' des potentiellen Kundenunternehmens erst einmal überwunden,
kann alle weiterführende Kommunikation zwanglos angebahnt werden. Aber der Anspruch ist hoch: Im B2B haben wir es mit hervorragend ausgebildeten, mit beiden Füßen im Beruf stehenden Individuen
auf beiden Seiten des Kommunikationspfades zu tun, zudem sind die Ansprüche an Leistungen messbar und durch vielschichtige Selektionsverfahren weniger empfindlich gegenüber emotionaler
Beeinflussung, als dies bei Konsumenten in der Wegwerfökonomie der Fall ist.
Schneller, individueller & länger modifizierbar
Kunde und herstellendes Unternehmen definieren zusammen das zu schaffende Produkt: Lastenheft, Pflichtenheft, Freigaben etc.... Der Anbieter stellt dem Kunden in diesem Moment eine Unmenge
an Know-How zur Verfügung, das ihn in die Lage versetzt, eine für ihn maßgeschneiderte Anlage (Maschine, Prüfanlage, Gerät,...) zu entwerfen. Diese Phase der Produktdefinition und -realisierung
mit ihren Meilensteinen wird heftige Änderungen erfahren. Ein zentrales Element dabei ist Timing. Ich vergleiche das gerne mit dem
Anbremspunkt vor einer Kurve, dieser Punkt ist das 'Design Freeze', die Kurve ist die Herstellung des Produktes. Ein klassisch agierendes
Business verlangt von seinem (Projekt-)kunden ein rechtzeitiges Design Freeze, um den herstellerinternen Design-, Beschaffungs- und Fertigungsprozess planbar und termingerecht ablaufen zu lassen.
Danach eingesteuerte Änderungswünsche sorgen gemeinhin für Chaos. ECN seitens des Herstellers übrigens auch. Das wollen immer weniger Kunden so mitmachen! In einer Zeit, in der innerhalb eines
halben Jahres die Hardware vielleicht, die Software aber sicher überholt ist, ist eine andere Arbeitsweise angesagt. Wie gesagt, Digitalisierung, besser: Integration der Datenströme aller Geschäftsprozesse hilft, den Anbremspunkt immer näher an und
sogar in die Kurve zu legen. Notwendige Voraussetzung für das Gelingen ist, dass die gesamte Wertschöpfungskette, mindestens jedoch
Zulieferer, der Produzent und der Kunde ineinander verzahnte Informationssysteme, insbesondere CAD, CIM und ERP nutzen. Hinreichend ist
das nicht! Eine weitere notwendige Bedingung wurzelt tief in den Prozessen der 'old economy', nämlich die Fähigkeit aller involvierten produzierenden Parteien, auch bei 'Losgröße 1' noch
profitabel zu arbeiten. Wohlgemerkt, wir reden hier über Hardware. Erst das Zusammenspiel von Informationstechnologie und clever aufgesetzten Prozessen in der Leistungswirtschaft sorgen für
Zuwachs an Wertschöpfung.
Damit können Änderungswünsche des Kunden in deutlich späteren Realisierungsphasen noch berücksichtigt werden ohne den physischen Fertigungsprozess zu stören. Das ist ein deutlicher Fortschritt
und eine Abkehr von gewohnten Arbeitsweisen.
Ein weiteres beschleunigendes Element ist Rapid Prototyping, dessen Erfolg wieder auf beiden Elementen beruht, der durchgängigen Verfügbarkeit des Datenmodells im Projekt und der Fähigkeit, Form, Aussehen, Haptik und Materialeigenschaft des endgültigen Produkts oder eines Teils davon immer besser zu antizipieren. Dies dann direkt beim Kunden zu "erschaffen", ist m.E. eine tatsächlich neue Erlebniswelt auch im B2B.
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Ein Dauerthema ist, einen einmal gewonnenen Kunden nach abgeschlossenem Projekt für weitere Projekte, Produkte oder Dienstleistungen zu sichern. Diese Teile des 'After Sales' Geschehens, zum Beispiel in Dienstleistungen wie Fernwartung, sowohl präventiv als auch im Schadensfall oder Update Services, Condition Monitoring großer Anlagen, Bug Fixes und dem Vorhalten von Wissensdatenbanken für Anwender, bauen darauf, festere Kundenbindung und weitere Umsätze über eine sicher zu kalkulierende Zeit zu erreichen. Sie nicht zu nutzen, ist leichtfertig. Die Durchdringung der Maschinen und Geräte mit immer mehr Softwarefeatures, bzw. die regelrechte Verlagerung von Hardware in Software / Firmware öffnet das Tor für eine 'rundum sorglos' Betreuung. Die Möglichkeit, den Wertschöpfungszyklus durch die erwähnte "Entmaterialisierung" von Marktleistungen weit über die Inbetriebnahme auszudehnen, steigert Umsätze in Business Units, die mit keinerlei Materialeinsatz kalkulieren müssen, und bedeutet gleichzeitig, dass die Kommunikation zwischen Projektpartnern nun kontinuierlich und bereichsübergreifend ist.
tl;dr
Digitale Transformation im Kundenprozess der Realwirtschaft birgt großes Potential, das nicht verschlafen werden darf. Ohne eine adäquate Ertüchtigung der realen Geschäftsprozesse ist sie
allerdings inhaltsleer.